Swakopmund ist aus dem Meer gestiegen wie ein Seeungeheuer. Das kann man denken, hier zwischen der scheinbar endlosen Geröll- und Sandwüste Namib und dem rauen Atlantik, dessen harte Brecher mit Macht an die Küste donnern. Tatsächlich hat sich das Städtchen mit seinen wilhelminischen Bauten aus dem Meer entwickelt. Die Deutschen schafften zur Kolonialzeit alles mit Schiff herbei: Baumaterial, Trinkwasser, Pferde, Bettlaken. Swakopmund sollte Seehafen für die Kolonie Deutsch-Südwest sein.
Erstaunlich, dass die deutschen Schutztruppler und Pioniere ausgerechnet hier von Bord gingen, mag man ebenfalls denken. Hinterm heutigen Ortsausgang folgt ewig nichts als Sand und Geröll. Immerhin ist das Wetter hier oft seltsam unafrikanisch: Weht der Wind von See, schiebt er zuweilen gewaltige Nebel zusammen und drückt sie durch die Straßen, die hier teilweise noch nach Bismarck oder Leutwein heißen.
In der palmengesäumten Strandstraße an der Promenade an einem deutschen Schulhaus, das so auch in Brandenburg oder Pommern stehen könnte, schlendert ein Schwarzer vorbei und grüßt einfach mal freundlich auf Deutsch: "Guten Tag, wie geht's?" Swakopmund ist, so sagt man gern, die "deutscheste Stadt" Namibias. Die deutsche Sprache ist hier so präsent wie sonst nirgends im Land, die Gebäude - jetzt zum Teil knallig gelb und orange angestrichen - offenbaren ihren deutschen Ursprung sofort. Wobei, deutsch?
Swakopmund ist längst nicht mehr so, wie es einst im Reiseführer beschrieben wurde: Es ist kein schwarz-weiß-rotes Disneyland mehr, auch wenn die Stadt ihren reichskolonialen Ursprung kaum verbirgt. "Swakop", wie die Namibier es liebevoll nennen, ist modernes Seebad und Namibias Top-Attraktion an der Küste. Viereinhalb Stunden Autofahrt sind es von der Hauptstadt Windhoek aus bis hier, und wohlhabendere Windhoeker nutzen verlängerte Wochenenden gern, um am Atlantik Abkühlung zu suchen. Wie gesagt: Kommt der Wind vom Meer mit seinem kalten Benguela-Strom, wird es frisch wie in einem deutschen Seebad.
Dann sind feine, seidene Nebel weithin sichtbar, wenn man sich der Stadt von der Wüste aus nähert, und ein paar Kilometer vor der Küste drückt die Kälte plötzlich durch die Windschutzscheibe. Die "Welwitschia", eine Pflanze die nur aus einem einzigen, in unzählige Kräusel zerfaserten Blatt besteht, hält sich hier als Repräsentant der kargen Vegetation. Mit ihren tentakelhaften Ärmchen saugt sie Feuchtigkeit aus der Luft.
Viele Windhoeker verbringen gern auch die Weihnachtsferien hier draußen. Dann wird das Landesinnere Namibias von brüllender Hitze beherrscht und man trifft sich an der Küste und spielt Volleyball unter Palmen am Strand, die Salzluft sticht in der Nase. Hier an Strand und "Arnold-Schad-Promenade" zeigt die Stadt sich weltoffen: Schwarze und Weiße schätzen den Spaß am Meer gleichermaßen, mischen sich.
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— Sebastian Geisler (@sgeisler_) 5. Juli 2014
Den "Spiegel" lesen im "Swakopmunder Brauhaus"
Wieder aufgebaut übrigens in derselben deutschen Optik wie zuvor, mit Fachwerk-Anmutung und spitzen Giebeln. "Das wäre auch gar nicht anders gegangen", sagt der Mittvierziger. "Die Stadtverwaltung hat uns das zur Auflage gemacht." Der Swapo-geführte Stadtrat drängte auf die Einhaltung des deutschen Stils, den die "Brauhaus Arkaden" genannte Einkaufszone kennzeichnet. In den Auslagen sieht man hier Straußenlederschuhe, deutschsprachige Bücher wie in der "Swakopmunder Buchhandlung", wo Bücher von Helmut Schmidt und Karl-Theodor zu Guttenberg so selbstverständlich angeboten werden wie der "Spiegel", die deutsche "Mickey Maus", "Lustige Taschenbücher", "Das Goldene Blatt", "Welt am Sonntag" oder der "Focus".
Hier arbeitet auch, einen Tag in der Woche, Christian Stiebahl. Der Liebe wegen kam er vor Jahren ins Land. Inzwischen ist er vor allem gefragter Fotograf, schießt gestochen scharfe oder sanft-milchige Hochzeitsfotos in den Dünen, ganz wie gewünscht, von schwarzen und weißen und immer häufiger auch schwarz-weißen Brautpaaren. Auch mit dem Kleinflugzeug schwebt er schon mal auf einer Lodge ein, um einen Urlaub zu dokumentieren. Die starke Sonneneinstrahlung in Namibia lässt die Farben HD-artig leuchten - zumindest, wenn in Swakop nicht der Nebel in den Straßen klebt, aber das gibt es so ja nur hier an der Küste.
"Very nice", findet Mitarbeiter Rudolph - ein Schwarzer mit deutschem Namen - dieses ganze seltsam deutsche Stadtbild. "Die Häuser aus der Gründerzeit stehen doch bis heute", sagt er auf Englisch. Mancher Zweckbau, den Südafrikas Apartheid-Regime während seiner Fremdherrschaft über Namibia errichten ließ, verschwand früher wieder.
Nebenan im "Café Treffpunkt" begrüßen einen die schwarzen Angestellten auf Deutsch, egal in welcher Sprache man bestellt. Da gibt es Schweineohren und Schnitzelbrötchen, Latte Macchiato und Schwarzwälder Kirschtorte, außerdem "Pumpernickel" und "Berlinerland Bread".
Von Kaiser Wilhelm zu Sam Nujoma
Früher hieß die Straße, an der die beiden Geschäfte liegen, „Kaiser-Wilhelm-Straße“. Bis 2002 die Politik entschied, die Straße nach dem Gründungspräsidenten „Sam Nujoma Avenue“ zu nennen. Damals noch sehr zum Unmut der deutschen Anwohner. Einige brachten trotzig Schilder an ihren Häusern an, die den alten Namen übergroß präsent halten. Auch die „Adler-Apotheke“ mit alten deutschen Arzneidosen und Waagen weist sich noch als „Kaiser-Wilhelm-Str 14“ aus, ein Stück die Straße hinunter befindet sich das „Bismarck Medical Centre“. Nebenan hat sich die „Bismarck St.“ ganz offiziell halten können.
Straßennamen? "Wir sagen sowieso eher 'auf der Hauptstraße' oder 'am Turm", sagt der Brauhaus-Betreiber. Ihm gehört anteilig auch das Restaurant "Zum Kaiser", das sie vor ein paar Jahren hier aufgemacht haben. Der Name, sagt er, sei eher Gag denn Glorifizierung alter Zeiten, an die sich hier eh keiner erinnern kann, viel zu lange her ja auch. "Wir gehen hier lockerer damit um." Mit dem Kaiser und deutschem Imperialismus aus dem 19. Jahrhundert habe er nichts am Hut, er liebe einfach das Land hier.
So recht nimmt auch niemand Anstoß am deutschen Erbe hier. Neben dem Restaurant, hin zur Straße "Am Zoll", finden sich nun die "Kaiser Wilhelm Chalets", die gab es vor ein paar Jahren noch gar nicht. Auch der "Stadtmitte"-Komplex zeigt ein "Erb. 2004" und drinnen plärrt - "Ich bin so schön, ich bin so toll" - "der Anton aus Tirol" aus den Lautsprechern. Am Fuße des "Alten Bezirksgerichts" verkaufen junge schwarze Männer afrikanische Schnitzereien, Holzgiraffen, Makalani-Nüsse. Der Stadtrat wäre vor allem die Nuss-Verkäufer lieber los. Sie verwickeln Touristen ins Gespräch, schnitzen deren Namen in die Nuss und wollen sie dann für ein paar Münzen losschlagen.
Weht der Wind kräftig aus der Wüste, peitscht er den Sand in jede Ritze. Eilig schließen die Geschäfte dann ihre Türen, werden Sonnenschirme zugeklappt. Die feinen Sandkörner brennen in den Augen, als Swakopmunder bleibt man dann lieber zuhause. Später fegen sie hier - in einer der größten Wüsten der Welt! - ganz im Ernst den Sand vom Bürgersteig. Vorm "Hotel Deutsches Haus", Eisbein und Sauerkraut auf der Mittagskarte, harken die Angestellten jeden Morgen am Grundstück die Sandstraße, ehe bis in den Abend Paulaner Weißbier und Windhoek Lager gezapft wird. Anders als in der Hauptstadt gibt es hier auch kaum hohe Mauern mit Schockdraht, viele Zäune könnte man problemlos übersteigen; die Kriminalität ist weit geringer.
Für die Freizeit wird in Swakopmund viel geboten: Drachenfliegen, Fallschirmspringen, Rundflüge mit kleinen Cessnas, Bootsausflüge, Quad-Biking in den Dünen, all so etwas ist möglich. Besonders Coole besteigen die nahe "Düne 7" bei Walvis Bay übrigens nicht nur, sie brettern mit dem Snowboard wieder hinab. Viele brettern leider auch über die Straße nach Walvis Bay. Auf der "Todespiste" genannten Strecke kommt es immer wieder zu schweren tödlichen Unfällen, vor allem bei Nebel, alle paar Monate mal fährt zudem ein LKW den "Nelson Mandela"-Kreisverkehr am Ortseingang um.
Die Stadt wächst rasant nach Norden - Nirgends weltweit stiegen Immobilienpreise zuletzt so sehr wie hier in Namibia, nicht in New York und nicht in Berlin
Gewaltig ist die Stadt in den vergangenen Jahren gewachsen. Die Wohngebiete greifen nun weit nach Norden aus, Hauptstraßen wie die "Dr. Schwietering"-Street wurden einfach verlängert, akkurat gepflastert mit grauen Verbundsteinen, übrigens. Hier gibt es sogar mehrere aufgetünchte Fahrradwege. Jede Menge Bauland wird neu erschlossen, die Preise entwickeln sich rasant. Nirgendwo weltweit stiegen sie dieses Jahr in so kurzer Zeit so sehr wie hier in Namibia, man spricht von rund 30 Prozent in kaum vier Monaten. Auf Platz zwei liegt übrigens Polen.
Nicht zuletzt durch den Verkauf neuer Grundstücke hat Swakopmund es geschafft, in diesem Jahr einen praktisch ausgeglichenen Haushalt vorzulegen. Seit sich weiße wie schwarze Swakopmunder in einer "Nachbarschaftswache" zusammengeschlossen haben und mit gelben Leuchtwesten und Funkgeräten durch die Wohnviertel patrouillieren, ist auch die Zahl der Haus- und Autoeinbrüche spürbar zurückgegangen.
Nächstes Großprojekt ist aber erst mal der "Bahnhof Square" mitten in der Stadt. Das soll ein gläserner Shopping-Komplex mit Gleisanschluss werden. Der ganz alte Bahnhof ist heute Luxus-Hotel und Casino. Wo einst Züge hielten, liegen die Hotelgäste auf Liegen oder treiben im Pool. Vor dem Gebäude ist neben der namibischen auch eine bundesdeutsche, aber auch eine südafrikanische Fahne gehisst, auf dem Parkplatz davor ist noch ein mit Steinen eingelassener Reichsadler zu erkennen. Bis 2007 waren noch reichsdeutsche Farben im Stadtwappen. Die wurden behutsam durch die Namibia-Flagge ersetzt. Zugleich wich der Dreidorn - zur Apartheidszeit Symbol für die bis 1990 einzig offiziellen Sprachen Englisch, Afrikaans und Deutsch - einer Welwitschia. Das passt endlich zum modernen, gewandelten Gesicht dieser Stadt.
Angelina Jolie brachte hier ihr Kind zur Welt - und wohnt gleich nebenan
In Swakopmund, der einzigen Kleinstadt Afrikas mit deutsch-italienischem Eiscafé, hat übrigens Angelina Jolie ein Kind zur Welt gebracht, Brad Pitt und sie besitzen ein Haus im Nachbarort Langstrand. Wenn die Sonne tiefrot im Atlantik versinkt, nimmt man gern noch einen Sundowner, vielleicht in den Dünen oder auf der "Jetty" genannten Landungsbrücke, die die Deutschen einst mit Kruppstahl hier in den Küstensand trieben. Vor wenigen Jahren wurden Stelzen und Aufbau zum ersten Mal saniert. An der Spitze gibt es nun überm wogenden Atlantikwasser mit seiner salzigen Gischt ein Restaurant, in dem sie herrlichen Katfisch servieren und Rindersteak, so perfekt auf den Punkt gebraten, dass man sich fragt, wie das in einer Küstenstadt überhaupt möglich ist.
Stichwort "Katfisch". Jüngst frohlockte Namibias "Allgemeine Zeitung", dass der Swakopmunder Stadtrat sich entschlossen hat, in einem der neuen Wohngebiete im Norden mit der "Katfisch Street" doch noch mal einen deutschen Straßennamen neu zu vergeben. Das politische Klima ist hier im Küstenort ohnehin entspannter, gemeinschaftlicher als in der Hauptstadt Windhoek. Doch das nur am Rande. Vielleicht trifft sich, während die orange-rote Sonne rasch tiefer zieht, ja im Brauhaus gerade der "Swakopmunder Männergesangverein". Dann gibt es am Rande der Wüste althergebrachtes Liedgut aus Übersee und afrikanische Gesänge. In Swakopmund, das ist einfach so, passt das irgendwie ganz gut zusammen.
>> Ein 360-Grad-Panorama auf der "Jetty" - Zwischen Swakopmund und Atlantik
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— Sebastian Geisler (@sgeisler_) 5. Juli 2014