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Swakopmund ist Namibias Perle am Atlantik - und ein bisschen deutsch

5/7/2014

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Swakopmund gilt als "deutscheste Stadt Namibias", als ein Ostseebad am Atlantik. Vor allem aber ist es Namibias beliebtester Küsten- und Ferienort, der längst ein modernes Antlitz angenommen hat. Mit Sandboarding, Sundowner und Schwarzwälder Kirschtorte. 

Swakopmund ist aus dem Meer gestiegen wie ein Seeungeheuer. Das kann man denken, hier zwischen der scheinbar endlosen Geröll- und Sandwüste Namib und dem rauen Atlantik, dessen harte Brecher mit Macht an die Küste donnern. Tatsächlich hat sich das Städtchen mit seinen wilhelminischen Bauten aus dem Meer entwickelt. Die Deutschen schafften zur Kolonialzeit alles mit Schiff herbei: Baumaterial, Trinkwasser, Pferde, Bettlaken. Swakopmund sollte Seehafen für die Kolonie Deutsch-Südwest sein.

 Erstaunlich, dass die deutschen Schutztruppler und Pioniere ausgerechnet hier von Bord gingen, mag man ebenfalls denken. Hinterm heutigen Ortsausgang folgt ewig nichts als Sand und Geröll. Immerhin ist das Wetter hier oft seltsam unafrikanisch: Weht der Wind von See, schiebt er zuweilen gewaltige Nebel zusammen und drückt sie durch die Straßen, die hier teilweise noch nach Bismarck oder Leutwein heißen. 

In der palmengesäumten Strandstraße an der Promenade an einem deutschen Schulhaus, das so auch in Brandenburg oder Pommern stehen könnte, schlendert ein Schwarzer vorbei und grüßt einfach mal freundlich auf Deutsch: "Guten Tag, wie geht's?" Swakopmund ist, so sagt man gern, die "deutscheste Stadt" Namibias. Die deutsche Sprache ist hier so präsent wie sonst nirgends im Land, die Gebäude - jetzt zum Teil knallig gelb und orange angestrichen - offenbaren ihren deutschen Ursprung sofort. Wobei, deutsch? 
"Swakop" ist längst modernes Seebad

Swakopmund ist längst nicht mehr so, wie es einst im Reiseführer beschrieben wurde: Es ist kein schwarz-weiß-rotes Disneyland mehr, auch wenn die Stadt ihren reichskolonialen Ursprung kaum verbirgt. "Swakop", wie die Namibier es liebevoll nennen, ist modernes Seebad und Namibias Top-Attraktion an der Küste. Viereinhalb Stunden Autofahrt sind es von der Hauptstadt Windhoek aus bis hier, und wohlhabendere Windhoeker nutzen verlängerte Wochenenden gern, um am Atlantik Abkühlung zu suchen. Wie gesagt: Kommt der Wind vom Meer mit seinem kalten Benguela-Strom, wird es frisch wie in einem deutschen Seebad. 

Dann sind feine, seidene Nebel weithin sichtbar, wenn man sich der Stadt von der Wüste aus nähert, und ein paar Kilometer vor der Küste drückt die Kälte plötzlich durch die Windschutzscheibe. Die "Welwitschia", eine Pflanze die nur aus einem einzigen, in unzählige Kräusel zerfaserten Blatt besteht, hält sich hier als Repräsentant der kargen Vegetation. Mit ihren tentakelhaften Ärmchen saugt sie Feuchtigkeit aus der Luft. 


Viele Windhoeker verbringen gern auch die Weihnachtsferien hier draußen. Dann wird das Landesinnere Namibias von brüllender Hitze beherrscht und man trifft sich an der Küste und spielt Volleyball unter Palmen am Strand, die Salzluft sticht in der Nase. Hier an Strand und "Arnold-Schad-Promenade" zeigt die Stadt sich weltoffen: Schwarze und Weiße schätzen den Spaß am Meer gleichermaßen, mischen sich. 


>> Auf den Link klicken für einen 360-Grad-Blick von der Mole auf Swakopmund und den Atlantik

#360panorama jetty in #swakopmund #namibia http://t.co/zpJOnLJSWj

— Sebastian Geisler (@sgeisler_) 5. Juli 2014
Deutschstämmige Swakopmunder sind dennoch etwas auf der Hut, wenn die Presse kommt: Der Wirt im "Swakopmunder Brauhaus", ein fröhlicher, zupackender Typ, will seinen Namen nicht sagen. Der eingewanderte Deutsche hat schlechte Erfahrungen gemacht mit Zeitungen aus seiner Heimat. "Die wollen hier nur Schwarz-Weiß-Rot sehen und schreiben dann, wir seien Rassisten und Ewiggestrige." Und dann holt er plötzlich doch sein Fotoalbum vom Regal und zeigt stolz, wie sie das Brauhaus wieder aufgebaut haben. "Abgebrannt. Nach einem Vierteljahr stand es dann wieder", sagt er und klopft auf den Thresen, an dem seine schwarzen und weißen Angestellten behände Bier zapfen. 

Den "Spiegel" lesen im "Swakopmunder Brauhaus"

Wieder aufgebaut übrigens in derselben deutschen Optik wie zuvor, mit Fachwerk-Anmutung und spitzen Giebeln. "Das wäre auch gar nicht anders gegangen", sagt der Mittvierziger. "Die Stadtverwaltung hat uns das zur Auflage gemacht." Der Swapo-geführte Stadtrat drängte auf die Einhaltung des deutschen Stils, den die "Brauhaus Arkaden" genannte Einkaufszone kennzeichnet. In den Auslagen sieht man hier Straußenlederschuhe, deutschsprachige Bücher wie in der "Swakopmunder Buchhandlung", wo Bücher von Helmut Schmidt und Karl-Theodor zu Guttenberg so selbstverständlich angeboten werden wie der "Spiegel", die deutsche "Mickey Maus", "Lustige Taschenbücher", "Das Goldene Blatt", "Welt am Sonntag" oder der "Focus". 

Hier arbeitet auch, einen Tag in der Woche, Christian Stiebahl. Der Liebe wegen kam er vor Jahren ins Land. Inzwischen ist er vor allem gefragter Fotograf, schießt gestochen scharfe oder sanft-milchige Hochzeitsfotos in den Dünen, ganz wie gewünscht, von schwarzen und weißen und immer häufiger auch schwarz-weißen Brautpaaren. Auch mit dem Kleinflugzeug schwebt er schon mal auf einer Lodge ein, um einen Urlaub zu dokumentieren. Die starke Sonneneinstrahlung in Namibia lässt die Farben HD-artig leuchten - zumindest, wenn in Swakop nicht der Nebel in den Straßen klebt, aber das gibt es so ja nur hier an der Küste. 

 "Very nice", findet Mitarbeiter Rudolph - ein Schwarzer mit deutschem Namen - dieses ganze seltsam deutsche Stadtbild. "Die Häuser aus der Gründerzeit stehen doch bis heute", sagt er auf Englisch. Mancher Zweckbau, den Südafrikas Apartheid-Regime während seiner Fremdherrschaft über Namibia errichten ließ, verschwand früher wieder. 


Nebenan im "Café Treffpunkt" begrüßen einen die schwarzen Angestellten auf Deutsch, egal in welcher Sprache man bestellt. Da gibt es Schweineohren und Schnitzelbrötchen, Latte Macchiato und Schwarzwälder Kirschtorte, außerdem "Pumpernickel" und "Berlinerland Bread". 

Von Kaiser Wilhelm zu Sam Nujoma 


Früher hieß die Straße, an der die beiden Geschäfte liegen, „Kaiser-Wilhelm-Straße“. Bis 2002 die Politik entschied, die Straße nach dem Gründungspräsidenten „Sam Nujoma Avenue“ zu nennen. Damals noch sehr zum Unmut der deutschen Anwohner. Einige brachten trotzig Schilder an ihren Häusern an, die den alten Namen übergroß präsent halten.  Auch die „Adler-Apotheke“ mit alten deutschen Arzneidosen und Waagen weist sich noch als „Kaiser-Wilhelm-Str 14“ aus, ein Stück die Straße hinunter befindet sich das „Bismarck Medical Centre“. Nebenan hat sich die „Bismarck St.“ ganz offiziell halten können. 

Hier liegt der Damara-Turm der Woermann-Reederei, ein hoher Ausguck, der aufwendig renoviert zu einem der Wahrzeichen Swakopmunds geworden ist. Von hier sichteten die Woermann-Mitarbeiter einst die ankommenden Schiffe und nahmen mit ihnen über große Spiegel Kontakt auf. Heute kann man sich von hier aus einen guten Überblick über die Stadt verschaffen – oder einfach auf den kühlen Atlantik blicken.

Straßennamen? "Wir sagen sowieso eher 'auf der Hauptstraße' oder 'am Turm", sagt der Brauhaus-Betreiber. Ihm gehört anteilig auch das Restaurant "Zum Kaiser", das sie vor ein paar Jahren hier aufgemacht haben. Der Name, sagt er, sei eher Gag denn Glorifizierung alter Zeiten, an die sich hier eh keiner erinnern kann, viel zu lange her ja auch. "Wir gehen hier lockerer damit um." Mit dem Kaiser und deutschem Imperialismus aus dem 19. Jahrhundert habe er nichts am Hut, er liebe einfach das Land hier. 

"Anton aus Tirol" in der "Stadtmitte"-Passage

So recht nimmt auch niemand Anstoß am deutschen Erbe hier. Neben dem Restaurant, hin zur Straße "Am Zoll", finden sich nun die "Kaiser Wilhelm Chalets", die gab es vor ein paar Jahren noch gar nicht. Auch der "Stadtmitte"-Komplex zeigt ein "Erb. 2004" und drinnen plärrt - "Ich bin so schön, ich bin so toll" - "der Anton aus Tirol" aus den Lautsprechern. Am Fuße des "Alten Bezirksgerichts" verkaufen junge schwarze Männer afrikanische Schnitzereien, Holzgiraffen, Makalani-Nüsse. Der Stadtrat wäre vor allem die Nuss-Verkäufer lieber los. Sie verwickeln Touristen ins Gespräch, schnitzen deren Namen in die Nuss und wollen sie dann für ein paar Münzen losschlagen. 


Weht der Wind kräftig aus der Wüste, peitscht er den Sand in jede Ritze. Eilig schließen die Geschäfte dann ihre Türen, werden Sonnenschirme zugeklappt. Die feinen Sandkörner brennen in den Augen, als Swakopmunder bleibt man dann lieber zuhause. Später fegen sie hier - in einer der größten Wüsten der Welt! - ganz im Ernst den Sand vom Bürgersteig. Vorm "Hotel Deutsches Haus", Eisbein und Sauerkraut auf der Mittagskarte, harken die Angestellten jeden Morgen am Grundstück die Sandstraße, ehe bis in den Abend Paulaner Weißbier und Windhoek Lager gezapft wird. Anders als in der Hauptstadt gibt es hier auch kaum hohe Mauern mit Schockdraht, viele Zäune könnte man problemlos übersteigen; die Kriminalität ist weit geringer. 

Für die Freizeit wird in Swakopmund viel geboten: Drachenfliegen, Fallschirmspringen, Rundflüge mit kleinen Cessnas, Bootsausflüge, Quad-Biking in den Dünen, all so etwas ist möglich. Besonders Coole besteigen die nahe "Düne 7" bei Walvis Bay übrigens nicht nur, sie brettern mit dem Snowboard wieder hinab. Viele brettern leider auch über die Straße nach Walvis Bay. Auf der "Todespiste" genannten Strecke kommt es immer wieder zu schweren tödlichen Unfällen, vor allem bei Nebel, alle paar Monate mal fährt zudem ein LKW den "Nelson Mandela"-Kreisverkehr am Ortseingang um. 

Das einstige Township Mondesa ist natürlich kein Vergleich zum historischen Stadtzentrum, aber es wirkt mit seinen rechtwinkligen Straßen verblüffend geordnet. Eine arme, aber keine Elendssiedlung, und insgesamt aufstrebend. Selbst vor einigen Wellblechhütten stehen Männer und waschen etwa alte Mercedes-Autos oder sogar neue VW Polos. Hier etabliert sich zusehends eine neue Mittelschicht. Kleinunternehmer betreiben Shebeens, die kleinen Bars in Wellblechhütten, Autowaschanlagen, Friseur-Shops oder kleine Bottle Stores. 

Die Stadt wächst rasant nach Norden - Nirgends weltweit stiegen Immobilienpreise zuletzt so sehr wie hier in Namibia, nicht in New York und nicht in Berlin 

Gewaltig ist die Stadt in den vergangenen Jahren gewachsen. Die Wohngebiete greifen nun weit nach Norden aus, Hauptstraßen wie die "Dr. Schwietering"-Street wurden einfach verlängert, akkurat gepflastert mit grauen Verbundsteinen, übrigens. Hier gibt es sogar mehrere aufgetünchte Fahrradwege. Jede Menge Bauland wird neu erschlossen, die Preise entwickeln sich rasant. Nirgendwo weltweit stiegen sie dieses Jahr in so kurzer Zeit so sehr wie hier in Namibia, man spricht von rund 30 Prozent in kaum vier Monaten. Auf Platz zwei liegt übrigens Polen. 

 Nicht zuletzt durch den Verkauf neuer Grundstücke hat Swakopmund es geschafft, in diesem Jahr einen praktisch ausgeglichenen Haushalt vorzulegen. Seit sich weiße wie schwarze Swakopmunder in einer "Nachbarschaftswache" zusammengeschlossen haben und mit gelben Leuchtwesten und Funkgeräten durch die Wohnviertel patrouillieren, ist auch die Zahl der Haus- und Autoeinbrüche spürbar zurückgegangen.

Gewiss, dann und wann wird ein Gründerzeitbau abgerissen, historisches Erbe hin oder her. Neue Gebäude bekommen oftmals dann doch noch deutsche Namen wie "Atlantik-Sicht", "Molensicht", "Brückenblick" oder "Am Zoll Flats". Zur Zeit sind, sagt man, auch viele Rentner aus Deutschland hier im Land. Der Wechselkurs zum Namibia-Dollar steht günstig, ihre Kaufkraft ist ordentlich. Sorgen machen sich einige Swakopmunder derzeit wegen des angekündigten "Gecko-Chemieparks", der nahe der Stadt bei den Uranminen entstehen könnte. Mit ihm dürfte eine erhebliche Umweltbelastung einhergehen. 

Nächstes Großprojekt ist aber erst mal der "Bahnhof Square" mitten in der Stadt. Das soll ein gläserner Shopping-Komplex mit Gleisanschluss werden. Der ganz alte Bahnhof ist heute Luxus-Hotel und Casino. Wo einst Züge hielten, liegen die Hotelgäste auf Liegen oder treiben im Pool. Vor dem Gebäude ist neben der namibischen auch eine bundesdeutsche, aber auch eine südafrikanische Fahne gehisst, auf dem Parkplatz davor ist noch ein mit Steinen eingelassener Reichsadler zu erkennen. Bis 2007 waren noch reichsdeutsche Farben im Stadtwappen. Die wurden behutsam durch die Namibia-Flagge ersetzt. Zugleich wich der Dreidorn - zur Apartheidszeit Symbol für die bis 1990 einzig offiziellen Sprachen Englisch, Afrikaans und Deutsch - einer Welwitschia. Das passt endlich zum modernen, gewandelten Gesicht dieser Stadt. 

Angelina Jolie brachte hier ihr Kind zur Welt - und wohnt gleich nebenan 

In Swakopmund, der einzigen Kleinstadt Afrikas mit deutsch-italienischem Eiscafé, hat übrigens Angelina Jolie ein Kind zur Welt gebracht, Brad Pitt und sie besitzen ein Haus im Nachbarort Langstrand. Wenn die Sonne tiefrot im Atlantik versinkt, nimmt man gern noch einen Sundowner, vielleicht in den Dünen oder auf der "Jetty" genannten Landungsbrücke, die die Deutschen einst mit Kruppstahl hier in den Küstensand trieben. Vor wenigen Jahren wurden Stelzen und Aufbau zum ersten Mal saniert. An der Spitze gibt es nun überm wogenden Atlantikwasser mit seiner salzigen Gischt ein Restaurant, in dem sie herrlichen Katfisch servieren und Rindersteak, so perfekt auf den Punkt gebraten, dass man sich fragt, wie das in einer Küstenstadt überhaupt möglich ist. 


Stichwort "Katfisch". Jüngst frohlockte Namibias "Allgemeine Zeitung", dass der Swakopmunder Stadtrat sich entschlossen hat, in einem der neuen Wohngebiete im Norden mit der "Katfisch Street" doch noch mal einen deutschen Straßennamen neu zu vergeben. Das politische Klima ist hier im Küstenort ohnehin entspannter, gemeinschaftlicher als in der Hauptstadt Windhoek. Doch das nur am Rande. Vielleicht trifft sich, während die orange-rote Sonne rasch tiefer zieht, ja im Brauhaus gerade der "Swakopmunder Männergesangverein". Dann gibt es am Rande der Wüste althergebrachtes Liedgut aus Übersee und afrikanische Gesänge. In Swakopmund, das ist einfach so, passt das irgendwie ganz gut zusammen. 

>> Ein 360-Grad-Panorama auf der "Jetty" - Zwischen Swakopmund und Atlantik 

#360panorama #jetty in #swakopmund #namibia http://t.co/3tYeLc06W0

— Sebastian Geisler (@sgeisler_) 5. Juli 2014
Und zum Abschluss noch ein Rundflug per Drohnenkamera über Swakopmund. Sensationelle Aufnahmen von Nutzer bmextremeable. Swakopmund so nah als wär' man da: 
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Warum die neuen Straßennamen in Windhoek eine Frechheit sind

1/7/2014

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Lieber ein völlig unbekannter nigerianischer "General Murtala Muhammed" auf dem Schild als ein namibischer Omurambaweg, gleich zwei Mal die "Agostinho Neto Street", riesenlange "Hamutenya Wanahepo Ndadi" und "Simoen Kambo Shixungileni"-Straßen, Angolas Präsidenten statt Windhoeker Bürgermeister oder einer "Bahnhofstraße" im Zentrum - warum die überraschend präsentierten neuen Straßennamen von Namibias Hauptstadt Windhoek einfach nur eine Frechheit sind. Und das, obwohl es vor ein paar Jahren noch vernünftig, versöhnlich und vor allem rational zuging. 


Zunächst: Mich ärgert es immer, wenn unter weißen Namibiern jede Umbenennung als Beweis für den Untergang des Abendlandes, ja den Verfall des ganzen Landes herhalten soll. Wer sich gegen jegliche Änderung im öffentlichen Bild sperrt, der möchte die wohlhabenden Viertel von Namibias Städten mit ihren oft deutschen Straßennamen offenbar als eine Art europäische Außenposten erhalten, die heute die schwarze Bevölkerungsmehrheit zwar uneingeschränkt betreten (so liberal ist man ja dann wohl doch), aber tunlichst nicht verändern darf. Da wird gegen die Umbenennung der Uhlandstraße (heute Dr. Kenneth David Kaunda St) sofort hart prozessiert. Als wäre "Uhland" irgendwie namibisch. Und als verhieße es politische Stabilität, die Straßenkarte von Windhoek auf dem Stand von 1990 einzufrieren, dem Jahr, als Namibia endlich unabhängig und demokratisch wurde. 

Straßen umzubenennen ist Symbolpolitik, keine Frage.  Es geht um Symbole, die das Gesicht der jungen Nation Namibia prägen, es überhaupt erst gestalten. Selbstverständlich ist es richtig, dass die "Kaiserstraße" heute Independence Avenue heißt. Oder durch Klein-Windhoek die gebührend lange "Nelson Mandela Avenue" führt. 

Zwei Mal Agostinho Neto für Windhoek 

Was sich der Stadtrat von Windhoek aber jetzt - und wohl nicht durch Zufall im Vorfeld der Wahl dieses Jahr - leistet, ist geradezu eine Frechheit und brüskiert die eigenen Bürger. Offenbar wahllos wurden mehrere, den Charakter der Innenstadt prägende Straßen identifiziert und deren Umbenennung verkündet. Der größte Kracher, den die Stadtverwaltung diese Woche verabschiedet hat - wie immer ohne jegliche öffentliche Debatte und völlig überraschend - ist die Umbenennung der John-Meinert-Straße. Diese soll künftig "António Agostinho Neto St." heißen. Was ist daran so negativ? 

Mehreres. Zugegeben: John Meinert war ein Deutschstämmiger, auch wenn der Name das nicht unbedingt auf den ersten Blick verrät. Doch er war mitnichten kolonialer Scharlatan, sondern Bürgermeister von Windhoek und Unternehmer. Als Rassist, Apartheid-Freund oder dergleichen hat er sich nicht hervorgetan. Zumindest, so weit das überliefert ist. Wenn nun seine Hautfarbe zum Makel erklärt werden soll, widerspricht das der Versöhnungspolitik. 

Doch um die Hautfarbe geht es offenbar gar nicht, zumindest nicht primär. Die Straße wird einfach nur deswegen umbenannt, weil sie: lang ist. Hier kann die Regierungspartei Swapo also besonders gut ihre Hausmacht unter Beweis stellen. Und zwar mit diesem neuen Namen auch besonders eindrucksvoll. Sie hatte nämlich - und das ist die große Frechheit - vor wenigen Jahren bereits die Straße "Ausspannplatz Garten" südlich des Ausspannplatzes nach dem einstigen angolanischen Präsidenten benannt. Künftig soll es den Namen also doppelt geben, in nur ein paar Kilometer Entfernung. Der Stadtrat schafft für seine Bürger also eine vollkommen unnötige und sinnlose Verwirrung und Verwechslungsgefahr. Lebt künftig kürzer, wer in Windhoek eine Ambulanz in die "António Agostinho Neto St" bestellt? 

Je länger der Straßenname, desto jünger die Umbenennung 

Ganz doppelt ist der Name übrigens doch nicht. Am Ausspannplatz heißt die Straße schlicht "Agostinho Neto St". Ein paar Kilometer nördlich muss es mit der "António Agostinho Neto St." schon ein Dreiwort-Straßenname sein. Die Unsitte, Straßen mit riesenlangen Namen zu versehen, ist ein Windhoek bereits vor ein paar Jahren ausgebrochen. Da muss es gleich zehnsilbig "Hamutenya Wanahepo Ndadi St." (wie im Stadtteil Olympia) heißen, der Nachname allein reicht nicht. Der Name ist derart lang, dass er auf einigen Schildern sogar zu "H-Wanahepo Ndadi St." (oder gleich "H-Wanahepo Ndadi") verkürzt werden musste. Warum muss plötzlich jeder Zweit- und Drittname tunlichst mit auf das Schild?


Noch recht neu ist auch die Unsitte, bei neuen Namen gern auch noch ein "Dr." davor zu setzen. Auch der umbenannte "Omurambaweg" in Windhoek-Eros klingt mit seinem neuen Namen "General Murtala Muhammed Avenue" eher nach Bananenrepublik denn nach moderner Hauptstadt. Dieser Eindruck drängt sich einem besonders auf, wenn man weiß, dass es sich bei "Omuramba" um ein ur-namibisches Wort handelt (es ist das Herero-Wort für Rivier, also einen namibischen Trockenfluss), während General Murtala Muhammed irgendein General aus Nigeria ist. Von einer "Namibisierung" oder Dekolonialisierung kann hier also keine Rede sein - ganz im Gegenteil. 

Der Stadtrat weiß es besser - eigentlich 

In den ersten Jahren nach der Unabhängigkeit hat die Stadtverwaltung gezeigt, dass es anders geht: Sinnvoll benannte man nach dem Gründungspräsidenten eine Sam Nujoma Avenue (heute wäre es wohl eine "Dr. Samuel Daniel Shafiishuna Nujoma Avenue" - so heißt der Mann mit vollem Namen, und einen Doktortitel ehrenhalber hat er auch). Sinnvoll passte man den Komponist der namibischen Nationalhymne, Axali Doeseb, ins Ensemble der Musikernamen in Windhoek-West ein - und tilgte dafür Burengeneral Louis Botha aus der Apartheid-Ära, der zu den Künstlernamen ohnehin nicht passte). 
Hier nimmt die Stadtverwaltung übrigens - als rühmliche Ausnahme dieser Umbenennungsrunde - ebenfalls eine durchdachte Umbenennung vor. Die "Storchstraße" (und ein Vogel passt ebenfalls nicht ins Musikerviertel) soll künftig 
"Jackson Kaujeua St." heißen - nach einem namibischen Komponisten, ganz ohne XXL-Namen. 

Wandel muss schon sein 


Es dürfte klar sein, dass der Anteil "deutscher" und "weißer" Straßennamen zurückgefahren werden muss, wenn die Straßenkarte der Hauptstadt repräsentativer für die namibische Nation sein soll. Ganz tilgen muss man diese Namen deshalb noch lange nicht. Das ist allerdings auch gar nicht das erklärte Ziel der Verantwortlichen. So wäre gerade die Bahnhofstraße als politisch völlig neutraler Name im Vielvölkerstaat Namibia erhaltenswert gewesen - ja geradezu auch ein Stück historisches Namibia. Die Kreuzung Bahnhofstraße und Independence Avenue machte den friedlichen und von allen Bevölkerungsgruppen gewollten Wandel auch auf dem Straßenschild geradezu sinnfällig. 

Weg damit! Denn künftig soll die Bahnhofstraße - sie ist ja zentral, lang und bedeutend - "José Eduardo Dos Santos St." heißen. Ebenfalls nach einem einstigen angolanischen Präsidenten. Wer Swapo-Freund ist, bekommt auch eine Straße, so einfach ist das inzwischen offenbar. Da muss man - anders als noch in Swakopmund - nicht mal Namibier sein, geschweige denn (General Murtala?) auch nur entfernt irgendwas mit dem Land zu tun haben. 

Peter Müller muss weichen - und taucht dann wieder auf 

Ein Kuriosum ist die Tatsache, dass unterhalb der Christuskirche die Peter-Müller-Straße (deutschstämmiger einstiger Windhoeker Bürgermeister) zugunsten einer "Fidel Castro Street" weichen musste, und der Stadtrat dann aber im vergangenen Jahr eine kurze Straße an der Maerua Mall "Peter Müller St" nach ebendiesem Mann tauft. Das schafft ebenfalls Verwirrung, zumal auf vielen Karten und auch bei Google Maps die jetzige Castro Street noch immer als Peter Müller Street angezeigt wird. Immerhin: Man kann das als Zeichen der Versöhnung gegenüber den Deutschstämmigen lesen. 

Strittig wäre die Bismarckstraße. Als deutscher Reichskanzler einst Kolonialskeptiker, hat er sich unter Kaiser Wilhelm dann doch daran gemacht, Deutschland zu Kolonien zu verhelfen. Muss man ihn deshalb in Namibia tilgen? Nein - fand zumindest der Swapo-geführte Windhoeker Stadtrat ganze 25 Jahre lang. Nun soll auch er - kurz vor der Wahl - gehen. Und zwar für folgenden Namen: "Simoen Kambo Shixungileni St." Oder auch doch nicht? Der Antrag auf die Umbenennung wurde in diesem Fall vorerst vertagt. Vielleicht möchte noch jemand ein "Dr." davorschreiben. 


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    Autor

    Journalist Sebastian Geisler lebte 2007 in Namibia, wo er  bei der Namibian Broadcasting Corporation (nbc) in Windhoek für den staatlichen Rundfunk moderierte. Auf diese Weise bekam er Einblicke in namibisches Alltagsleben, politische Entwicklungen, aktuelle Probleme, Herausforderungen und Erfolge. Außerdem erlebte er die beeindruckende Natur, Tierwelt und lernte die herzlichen Menschen in Namibia kennen. 

    Über all das schreibt er seitdem, zunächst auf "blog.zeit.de/namibia" für "ZEIT online" und jetzt hier bei "Spuren im Sand", auf namibiablog.net



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