Namibias Präsident Pohamba redet eine "Revolution" herbei. Mit einem Interview bei Al-Jazeera bringt er sein befriedetes Land wieder in die Schlagzeilen. Wachsende Unzufriedenheit der Wähler mache es "unregierbar". Genau die schürt er jetzt absichtlich - um zugleich einen Schuldigen zu präsentieren und von den Versäumnissen in mehr als 22 Jahren Swapo-Regierung abzulenken. Sein Land sei "am Scheideweg". Lieber riskiert er den Absturz Namibias ins Chaos als einen Machtverlust seiner Partei. Eine Analyse.
Namibias Präsident Hifikepunye Pohamba dürfte der einzige Präsident der Welt sein, der selber eine Revolution in seinem Land heraufbeschwört. Pohamba, der sonst als besonnen und versöhnlich gilt, nutzt das heikle Thema Landreform zur Aufwiegelung und Mobilisierung. In einem Interview mit dem arabischen Nachrichtensender Al Jazeera sorgte er für Diskussionen im Land: Werde die Umverteilung von Farmland nicht beschleunigt, so seine dringende Prognose, würde die wachsende Unzufriedenheit der schwarzen Bevölkerungsmehrheit - die ihn gewählt hat - gefährlich. Landbesitz sei ein wirksames Mittel zu Wohlstand, daher könne es dann zu Gewaltausbrüchen und Farmbesetzungen kommen. "In einer solchen Situation wäre das Land unregierbar", so Pohamba. Das allerdings heißt vor allem: unregierbar für ihn und seine Partei Swapo. Die sieht sich als einzig legitime politische Kraft Namibias, eine Abwahl und anschließende Oppositionsarbeit im namibischen Parlament sind nach Swapo-Lesart undenkbar und ein Rückfall in Apartheidszeiten. Es gilt, die Macht um jeden Preis zu erhalten. Pohamba will offenkundig vorsorglich einen Schuldigen finden für die magere Regierungsbilanz der Swapo. Darum redet er einen Konflikt bei der Landfrage herbei und schürt die Unzufriedenheit noch - damit er den Wählern zugleich Scheinlösungen anbieten kann, die von 23 Jahren Swapo-Regierungsverantwortung ablenken sollen. Sein Land sei, das sagt Pohamba deutlich, jetzt "am Scheideweg".
Die Unzufriedenheit der Armen
Denn tatsächlich wächst die Unzufriedenheit im Land. Im Jahr 23 nach der Unabhängigkeit - die Swapo regiert seitdem ununterbrochen - herrschen zwar Frieden und Stabilität, aber es ist der Regierung nicht im Ansatz gelungen, das große Gefälle zwischen Arm und Reich einzuebnen. Einer dünnen weißen und schwarzen - urbanen - Oberschicht und wachsenden, aber kleinen schwarzen und weißen Mittelschicht, steht in den ländlichen Gebieten die große Masse der Armen gegenüber. Viele arbeitslos oder Tagelöhner, kaum ausgebildet und praktisch ohne Zugang zu jenen Gütern, die der Oberschicht in den Städten auf europäischem Niveau zur Verfügung stehen. Diese übergroße, arme Mehrheit sind die Menschen, mit denen seit der Unabhängigkeit 1990 in Namibia Wahlen gewonnen werden. Aber sie fühlen sich zunehmend betrogen von der Swapo. Die ländlichen Regionen gelten als vernachlässigt, Parteiobere und Gouverneure besuchen hauptsächlich vor anstehenden Wahlen die armen Namibier und machen Versprechen.
Gefährliche Fragen nach Korruption und Misswirtschaft
Das weiße Apartheidregime strebte danach, die breite Masse der Schwarzen möglichst ungebildet zu halten, sie nur als billige Arbeitskräfte zu nutzen. Das Konzept parlamentarischer Demokratie ist vielen Wählern vor allem in den abgelegenen Provinzen immer noch fremd, eine Tageszeitung oft unerschwinglich. Davon profitiert heute ausgerechnet die einstige Befreiungsbewegung und jetzige Regierungspartei Swapo, die wenig Interesse daran hat, kritische Geister auszubilden, denen sie Rechenschaft schuldig wäre. Dabei werden durchaus Stimmen laut gegen die Regierung, und sie kommen verstärkt von den Armen. Sie beteiligen sich an den Anrufsendungen der Namibian Broadcasting Corporation, stellen Fragen nach Korruption, Misswirtschaft und Staatsdiener-Pensionen. Sie wollen wissen, warum Prestigeprojekte wie der Bau des lächerlich überdimensionierten Staatshauses ausschließlich von nordkoreanischen Arbeitskräften ausgeführt werden, statt von namibischen Firmen mit namibischen Arbeitern. Abgesehen davon, dass die Armen schlechteren Zugang zu Informationen und Bildungsangeboten haben, ist es nicht verwunderlich, dass gerade sie sich beschweren: Ineffiziente Verwaltung und ihre Folgen, berstende Trinkwasserleitungen oder Stromausfälle (so sie denn über eine Unterkunft und Stromanschluss verfügen) treffen sie deutlich härter als wohlhabendere Namibier.
Die Pressefreiheit wird Namibias Regierung unbequem
Zeitweilig ließ Pohamba diese auch als "öffentliches Parlament" bekannten Diskussionssendungen einstellen. Trotz der Pressefreiheit in Namibia ist der Einfluss der Regierung auf die öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt groß. Aber da das Verbot erst recht Protest hervorrief, ließ er die Programme wieder zu - mit der Auflage, die Livesendungen mit einer einminütigen Verzögerung auszustrahlen.
Die renommierte Tageszeitung "Namibian" - zu Apartheitszeiten vom weißen Regime verboten und verfolgt - ist inzwischen auch der Swapo unbequem: Auf einer ganzen Seite können auch wenig finanzkräfte Leser billig per SMS ihre Meinung kundtun. In den Reihen der Swapo wurde ein Verbot dieser Rubrik erwogen.
Ein gefährliches Spiel
Die Landwirtschaft ist das Rückgrat von Namibias Wirtschaft und wichtigster Zweig neben Uran- und Diamantenförderung und dem Tourismus. Gerade darum ist es gefährlich, funktionierende Großbetriebe anzutasten. Diese sind - tatsächlich - ganz überwiegend in der Hand weißer Besitzer, meist seit Generationen. "Weggenommenes Land", nennt Pohambas das durchaus zurecht. Die schwarze Bevölkerungsmehrheit fragte damals schließlich niemand nach ihrer Zustimmung, als die Deutschen die Kolonie infrastrukturell erschlossen, Land erst in Besitz nahmen und dann deutsche Farmer ansiedelten. Historisches Unrecht, das die Swapo-Regierung bisher ganz rechtsstaatlich zu lösen versprach: Nach dem Prinzip "Willing buyer, willing seller" (Williger Käufer, williger Verkäufer) sollten Großgrundbesitzer, die ihre Farmbetriebe verkaufen wollen, diese dem Staat anbieten. Der kauft dann mit Steuergeld zu einem marktgerechten Preis das Land und gibt es weiter an schwarze Neufarmer. Doch dieser Vorgang läuft schleppend. "Weil die deutschen Farmer leider unkooperativ sind", sagte Pohamba im Al-Jazeera-Interview. Zu wenige seien bereit, zu verkaufen. Das ist mehr als fraglich.
Abkehr von der Rechtsstaatlichkeit
Pohambas erwägt daher offen eine Enteignung. "Aber das ist leider aufgrund unserer Verfassung nicht möglich", sagte er. Eventuell müsse man das ändern, um die Möglichkeit zu bekommen, zwangsweise Farmen zu übernehmen.
In Wahrheit ist nicht ein Mangel an willigen Verkäufern das Problem. Vielmehr schöpft das Landwirtschaftsministerium seinen Etat für den Kauf von Farmen nicht aus, reagiert der Staat spät oder gar nicht auf entsprechende Angebote. Und bei der Weitergabe von Farmland an ehemals Landlose brauchen die Zuständigen zu viel Zeit. Die Präzedenzfälle, in denen Neufarmer angesiedelt wurden, machen allerdings ebenfalls wenig Mut. Auf den Farmen Marburg und Ongombe-West ließ sich bislang kein produktiver Betrieb etablieren, es fehlt den Arbeitern an Ausbildung und Kenntnissen, oftmals auch an technischem Gerät und der Fähigkeit, dieses zu nutzen.
Namibia - ein neues Simbabwe?
Das ist fatal. Denn es ist ohnehin äußerst schwierig, auf Namibias trockenem Boden mit Farmerei seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Dort, wo es gelingt, auf den funktionierenden Großfarmen, arbeiten Dutzende etablierte schwarze Kräfte, deren Wohl ganz unmittelbar vom Erfolg des Betriebes abhängt, egal ob in schwarzer oder weißer Hand. Sie und der Farmeigner befinden sich in einer gegenseitigen Abhängigkeit: Der Farmer kann ohne sie das Land nicht bewirtschaften, die Angestellten bekommen von ihrem "baas" (Afrikaans für Chef) wesentliche Versorgungsleistungen gestellt - bis hin zu medizinischer Hilfe und dem Ermöglichen eines Schulbesuchs für die Kinder seiner Mitarbeiter. So ist es zu erklären, warum im Nachbarland Simbabwe, als Diktator Robert Mugabe mit bewaffneten Mordbrennern Farmen konfiszieren ließ, in vielen Fällen die schwarzen Farmarbeiter gemeinsam mit ihrem weißen Farmer versuchten, die Eindringlinge zu vertreiben. In Simbabwe wurden die beschlagnahmten Farmen entweder linientreuen Regierungsoberen geschenkt, die diese zumeist als Jagdfarm nutzen statt für landwirtschaftliche Produktion, oder sie wurden an vollkommen neue Bewirtschafter und Angestellte vergeben, die mit landwirtschaftlichem Betrieb nicht oder kaum vertraut waren - während die früheren schwarzen Arbeiter mitsamt ihrem weißen Chef weichen mussten. Für den einzelnen Arbeiter bitter, für das Land ein Verlust an Know-How und letztlich der Grund für den Zusammenbruch der vormals florierenden Wirtschaft Simbabwes.
Darauf im Interview angesprochen, grinste Namibias Präsident Hifikepunye Pohamba nur. Über Simbabwe, so sagte er, wolle er nun nicht sprechen. Er wolle jetzt über Namibia sprechen.