
Von Sebastian Geisler
Der Text ist im Juni 2007 zum ersten Mal erschienen.
Maria regt sich auf. Sie kann sich richtig in Rage reden. So sehr sogar, dass sich ein anderer Kunde im Laden zu uns an den Verkaufstresen kommt und fragt: „What are you argueing about?“ – Dabei streiten wir nicht, Maria klagt mir nur ihr Leid. Denn sie betreibt den „Louis Botha Store“, eine Art nachbarschaftlichen Tante-Emma-Laden in der Beethovenstraße, Ecke Sam Nujoma Drive in Windhoek-West, in der Nähe meiner Unterkunft in der Schubertstraße. Es ist fast ein kleiner Supermarkt, der auf eng gestellten Regalen alles anbietet, was man so braucht – vom frischen Apfel über die Zeitung bis zur Zahnbürste.
Der Milchpreis steigt stetig
Doch solche Produkte des täglichen Bedarfs verkaufen sich zur Zeit merklich schlechter – sagt Maria hinter ihrem Tresen, während sie mit dem Scanner schnell über meine Wasserflaschen piepst. „Alles wird immer teurer“, klagt die gebürtige Portugiesin. „Hier“, sagt sie, und hält ein Päckchen Zigaretten hoch. „Diesen Monat im Preis gestiegen – und nächsten Monat steigen sie wieder.“ Noch schlimmer sei es mit der Milch. „Die ist schon fünf Mal dieses Jahr erhöht worden – und jetzt ist sie wieder dran. Ich habe gerade unsere neuen Preislisten bekommen.“ Wohin das noch führen soll, frage sie sich. Die Antwort liefert sie gleich mit: Als Deutscher kenne ich doch sicher die Erzählungen meiner Großeltern aus der Nachkriegszeit, wo man sich eben nur zu Weihnachten mal ein gutes Stück Fleisch gegönnt hat. „Und genau dazu wird es wieder kommen, wenn es so weitergeht“, sagt Maria. „Und es wird so weitergehen. Weil wir von Südafrika abhängig sind. Und dort wird alles teurer im Moment.“ Irgendwie habe das auch mit der Fußballweltmeisterschaft zu tun, die 2010 im südlichen Nachbarland Namibias stattfindet. Das habe Maria zumindest gehört. „Wir müssen wieder lernen, zu verzichten.“
Tatsächlich werden im weiten Wüstenland Namibia kaum Produkte für den unmittelbaren Konsum produziert. Höchstens Farmprodukte wie Milch und Fleisch. Das liegt auch an den wirtschaftlichen Strukturen, die das südafrikanische Besatzungsregime bis 1990 geschaffen hat: die Rohstoffe kommen aus dem damaligen Südwestafrika, die Weiterverarbeitung findet in Südafrika statt - und stärkt die dortige Wirtschaft. Das ist heute noch ein Problem. Denn noch heute wird das meiste, von „Kellog’s“-Cornflakes bis zum Dosenthunfisch, in Südafrika hergestellt und dann auf dem Landweg nach Namibia gebracht oder über den Tiefseehafen Walvis Bay eingeführt. Und den weiten Transport zahlt man mit. Wenn dann noch der Benzinpreis steigt, dauert es nicht lange, bis die Teuerung auf den Preis der einzelnen Produkte in den Läden durchschlägt – In Läden wie dem „Louis Botha Store“ eben, wo Maria meine Einkäufe mit gekonnten Griffen in weiße Plastiktüten packt. Wenn sie selber aus ihrem Geschäft dann noch Gewinn ziehen wolle, dann müsse sie ebenfalls noch ein paar Cent oder gar Namibia-Dollar auf die höheren Preise draufschlagen – schließlich bleiben bei jeder Teuerung Kunden weg, erzählt sie.
Rund 100 Euro Mindestlohn - im Monat
Denn die Löhne steigen eben nicht mit. „1000 Namibia-Dollar ist der Mindestlohn hier“, sagt Maria. „Also ungefähr 100 Euro im Monat. Wie weit kommt man damit in Europa?“, fragt sie. „Wer würde dafür in Portugal überhaupt arbeiten? Und hier kommt man damit auch nicht viel weiter! Irgendwie schaffen es die Leute, mit ihrem geringen Einkommen trotzdem über die Runden zu kommen, indem sie jeden Rand dreimal umdrehen und genau rechnen. Aber man muss sich nicht wundern, wenn die Kriminalität steigt. Man kann es den Menschen, die hier anfangen zu klauen, im Grunde nicht mal übelnehmen.“ Sie selbst zahle ihren Angestellten zwar mehr als den Mindestlohn, aber viel sei auch das nicht. Tatsächlich wundert man sich, wie die Leute es schaffen, mit ihren paar tausend Namibia-Dollar ihren Lebensunterhalt zu finanzieren. Auch für Europäer sind Aufenthalt und Leben in Namibia nicht billig. Dabei kann man mit dem Euro hier immer noch weit mehr kaufen als mit dem Namibia-Dollar – das sagen zumindest die Namibier. Auch wenn etwa Milchprodukte in Namibia teurer sind als in Europa, Fleisch und Bier hingegen deutlich günstiger. In großen Supermärkten wie „Pick n Pay“, „Superspar“ und „Woermann Brock“ gibt es in Windhoek und den anderen größeren Orten Namibias Produkte der Ersten Welt zu Preisen der Ersten Welt.
Auch im Windhoeker Township Katutura gibt es diese Supermärkte – aber billiger wird es auch dort kaum sein.
Ein Sechserpack Bier als letzten Luxus
Als Streitthema taugen die Lebenshaltungskosten im südwestlichen Afrika jedenfalls nicht, das merkt auch der Arbeiter, der im Blaumann einen Sechserpack Bier auf die Theke wuchtet – der letzte Luxus, den ich er sich vor dem „Pay Day“, dem Zahltag, diesen Monat noch gönnen wolle, sagt er. Das Leben wird teurer – Darüber gibt es keine zwei Meinungen.